Streetwork
Aufsuchende Kinder- und Jugendarbeit
Auf den Straßen in Masaka leben rund zweihundert Kinder und Jugendliche im Alter von sechs bis achtzehn Jahren. Sie kommen oft aus sozial schwachen, verarmten Familien. Die Meisten Kinder und Jugendlichen flüchten vor psychischer und physischer Gewalt Erwachsener, die meist durch Alkohol- und Drogenmissbrauch hervorgerufen wird. Aufgrund von Aidserkrankungen sind einige Kinder und Jugendliche Halb- oder Vollwaisen.
In Uganda gibt es kein soziales Hilfesystem und die ugandische Regierung stellt keinerlei Hilfsmittel, um den Kindern oder Familien zu helfen. Daher sind sie auf der Straße sich selbst überlassen und schutzlos allen Gefahren ausgeliefert. Als Bewältigungsstrategie finden sich die Heimat- und Obdachlosen Kinder und Jugendlichen in kleinen, gleichaltrigen Gruppen zusammen. Um an Geld zu kommen, machen die älteren Gruppen die Jüngeren absichtlich abhängig von Drogen und Alkohol. So verbringen die Kinder ihren Tag damit, Müll nach Altmetallen und Plastikflaschen zu durchsuchen. Mit den wenigen Schilling, die sie damit verdienen, kaufen sie bei den Älteren Koks, Benzin, Marihuana und weitere Substanzen. Gewalt, Hunger und Durst gehören zum Alltag auf der Straße. Heimat- und Obdachlose Kinder und Jugendliche werden stigmatisiert, sie gelten als schmutzig, krank und haben keine Rechte.
Deswegen hat die LIGHTS MASAKA FOUNDATION bereits über 30 Kinder und Jugendliche aus diesen schrecklichen Verhältnissen geholt. Unser Ziel ist es, weiteren Kindern eine bessere Perspektive zu ermöglichen.
Solange es noch Heimat- und Obdachlose Kinder und Jugendliche auf der Straße gibt, leistet die aufsuchende Jugendarbeit Erste Hilfe.
Das Ziel der aufsuchenden Jugendarbeit ist es, sich als erwachsene Ansprechperson vorzustellen, Streit zu schlichten, ein offenes Ohr zu haben und die Kinder und Jugendlichen zu beraten und zu ermutigen.
Bei Bedarf werden sie auch zu Ärzt*innen gebracht. Das Team informiert sich darüber, ob ein Kind von der Straße verschwunden ist (z.B. durch Menschenhandel oder Weiterziehen) und über Neuankömmlinge.
Obdachlose Mädchen, die uns gemeldet werden oder begegnen, nehmen wir noch am selben Tag auf.
Wir vermitteln die Mädchen in Pflegefamilien und organisieren Schulpatenschaften, da sie auf der Straße besonders gefährdet sind.
Das bin ich
Ich bin Max. Ich bin acht Jahre alt. Meine Erfahrungen könnten eine realistische Biographie eines obdachlosen Kindes in Uganda sein, sind aber aus Datenschutzgründen in ihrer Zusammensetzung der einzelnen Erlebnisse fiktiv. Hier erzähle ich meine Geschichte und die vieler anderer obdachloser Kinder und Jugendlicher.
Meine Geschichte
Ich wurde in einem Dorf in der Nähe von Masaka geboren. Meine Mutter hat Körbe aus Bananenblättern geflochten und diese zusammen mit Zuckerrohr und einigen anderen Lebensmitteln aus dem Garten verkauft. Mein Vater hat ein Motorrad gekauft, mit welchem er Taxifahrten anbietet. Er musste den Kredit noch abbezahlen, ehe er das Motorrad besitzt.
Ich habe drei Brüder und eine kleine Schwester. Wir haben Fußball gespielt, lernten jeden Tag in der Schule und hatten alles, was wir für ein einfaches und gutes Leben brauchten.
Eines Abends kam mein Vater nicht mit dem Motorrad nach Hause. Er hatte einen schweren Unfall. Er hatte keine Krankenversicherung. Meine Familie und die Nachbarschaft legten alle Geld zusammen, aber er ist trotzdem gestorben. Ich weiß nicht ob er überlebt hätte, wenn wir mehr Geld für seine Behandlung gehabt hätten. Nach seiner Beerdigung war das Leben nicht mehr einfach und gut. Die Körbe von meiner Mutter und das Gemüse aus dem Garten reichten nicht mehr aus. Meine Mutter konnte das Schulgeld nicht mehr bezahlen. Als ihre Ersparnisse aufgebraucht waren, reichte es auch nicht mehr um Mais und Reis zu kaufen. In Uganda gibt es kein staatliches Sozialsystem, das uns hätte auffangen können um diese schwere Zeit zu überbrücken. Mama hatte auch kein Geld für eine neue Ausbildung. Sie wurde immer verzweifelter und trauriger. Irgendwann ging sie abends weg und meinte, sie müsse jetzt arbeiten gehen. Es gab wieder ein bisschen Geld, aber Mama ging es immer schlechter.
Sie begann Alkohol zu trinken, um Kraft zu haben, nachts wegzugehen. Ich kippte den Wodka in die Büsche, aber es half nichts. Es gab viel Streit und wir verloren unser Zuhause. Meine Geschwister und ich bauten eine provisorische Unterkunft aus allem, was wir finden konnten. Aber ich glaube, Mama mochte sie nicht. Sie kam immer seltener dorthin, um uns Essen oder Kleidung zu geben. Als sie wieder einmal lange nicht kam, machte ich mich zu Fuß auf den Weg in die nächste Stadt, um mir selber etwas zu Essen zu besorgen. Ich lief zwei Tage, ehe ich Masaka erreichte. Dort angekommen traf ich auf andere Kinder in meinem Alter, die mir zeigten, wo man schlafen kann. Ich suchte mir einen leeren Getreidesack um nachts weniger zu frieren. Trotzdem war ich immer auf der Hut und die ganze Zeit übermüdet und reizbar. Wir sammelten gemeinsam Plastikflaschen und Metallmüll von der Straße und verkauften alles für ein paar Cent. Vor den älteren Jugendlichen hatten wir Angst, sie waren manchmal betrunken, wie meine Mutter, und nahmen uns unser Geld wieder weg. Ich hatte Angst, krank zu werden, weil ich nicht wusste, wer meine Medikamente bezahlen würde. Jetzt war wohl auch ich ein „Straßenkind“ geworden.
Die anderen Kinder erzählten mir von drei ugandischen Geschwistern, die regelmäßig allen von uns ein warmes Abendessen ausgaben und kranke Kinder ins Krankenhaus begleiteten. Barnabas, Julius und Nicholas fragten uns nach unseren Namen und organisierten mit uns Fußballspiele. Einmal im Jahr fuhren wir alle mit ihnen an den See. Wenn wir Probleme hatten, konnten wir uns an sie wenden und sie waren immer für uns da. Zweimal in der Woche holten sie uns ab und wir gingen zusammen ins Shelter. Hier wurde für uns gekocht, wir konnten unsere Kleidung waschen, die Toilette benutzen, uns waschen, Haare schneiden und uns austauschen.
Nach einer Zeit waren die drei meine Freunde und ich nannte sie „Onkel“. Deswegen erzählte ich Julius meine Geschichte. Ich zeigte ihm, wo ich zuletzt mit meinen Geschwistern gewohnt hatte. Doch sie waren nicht mehr da. Wir fragten die Nachbarinnen und sie erzählten uns, dass meine älteren Geschwister ebenfalls weggelaufen waren. Julius versicherte sich mehrfach, dass meine kleine Schwester dauerhaft bei der Nachbarin leben konnte. Er sagte ihr, dass es für Mädchen auf der Straße besonders gefährlich sei und hinterließ seine Kontaktdaten. Wir suchten auch nach meiner Mutter und fanden sie betrunken in einer Bar. Julius stellte sich vor und versuchte sie nach Verwandten oder Freunden zu fragen, aber meine Mutter war schon zu sehr in ihrer eigenen Welt, um gemeinsam überlegen zu können, wo ich wohnen könnte. Er gab ihr seine Handynummer auf einem Blatt Papier. „Wenn es in Ordnung für Sie ist, übernehmen wir die Sorge für Max“. Meine Mutter wirkte erleichtert und umarmte mich.
Seitdem lebe ich mit 25 anderen Kindern und Jugendlichen im Kinderheim von Lights. Ich gehe in die Schule, habe ein eigenes Bett und kann so viel essen, wie ich will. Wir sind wie eine große Familie. An Feiertagen besuche ich gemeinsam mit einem "Onkel" meine Mutter und meine Schwester und bringe ihnen Reis und Bohnen. Ich freue mich sehr, dass ich jetzt wieder in der Schule lernen kann und eine gute Zukunft habe. Mein Schulgeld bezahlen meine Paten und Patinnen aus Deutschland.